Blick in unsere Praxis:

Unterschiedlichkeit als wertvolle Ressource

 

Gegenseitiges Verstehen und Verstanden-werden ist kein Selbstläufer. Allein dass alle dieselbe Sprache sprechen, ist noch lange kein Garant für einen konstruktiven Austausch. Dieser Erkenntnis und dieser Herausforderung hat sich das Team von hilligarchitekten angenommen. Viele gerade junge Teammitglieder dieses Büros sind nicht-deutscher Herkunft. Sie kommen aus Frankreich, China, Mexiko, um nur einige ihrer Heimatländer zu nennen. Sie alle sprechen in unserer Wahrnehmung ausgezeichnet deutsch. Gleichwohl stellt sich die Kommunikation mit Projekt- und Bauleiter*innen, Auftraggeber*innen und Kund*innen sowie mit Kolleg*innen in vielfältigen Alltagssituationen für sie immer wieder als herausfordernd dar.

Wenn bspw. ein Investor über Reihenhäuser spricht, ist noch lange nicht sichergestellt, dass alle dasselbe Bild von diesen Reihenhäusern im Kopf haben. Für hiesige Kontexte ist vielen klar: Reihenhäuser werden jeweils einen Garten und einen Zaun ringsum haben. Anderswo auf der Welt (und auch hierzulande nicht zwingend selbstverständlich) muss dies keineswegs so klar sein. Stellt dazu dann jemand eine Frage, die nicht zu der Mehrheit der Bilder in den Köpfen einer solchen Planungsrunde passt, kann dies Überraschung, Unverständnis oder gar Belustigung hervorrufen, was sich zuweilen auch in einem Schmunzeln gegenüber der fragenden Person ausdrücken kann. Bei Personen, die sich noch unsicher fühlen, sei es aufgrund von erst jungen beruflichen Erfahrungen, sei es aufgrund anderer kultureller oder sprachlicher Hintergründe, können so erlebte alltägliche Gesprächssituationen die eigene Unsicherheit noch verstärken. Fallen dann auch noch Bemerkungen, die sowohl ernst als auch ironisch gemeint sein könnten, was für Personen nicht-deutscher Herkunft besonders herausfordernd zu erkennen ist, kann das Vertrauen in eine gelingende Kommunikation weiter geschwächt werden. Die Lust und das Zutrauen, sich offen auf inhaltliche Diskussionen einzulassen, können immer weiter schwinden. Mit ihrer fachlichen Expertise wird die- oder derjenige sich immer weniger gut und gerne einbringen wollen oder können.


Solchen Situationen und Entwicklungen wollte das Team von hilligarchitekten konstruktiv begegnen und die eigenen Teammitglieder kommunikativ stärken. Daher haben sie uns eingeladen, gemeinsam mit ihnen zu überlegen, wie dies gelingen kann. Auf Basis ihrer Beschreibungen erlebter herausfordernder Situationen im Arbeitsalltag haben wir eine sechsteilige Seminarreihe entwickelt. Inhaltlich korrespondieren viele Schwerpunkte mit denen der Seminarreihe „Kommunikative Kompetenz“, die wir in der Berliner Architektenkammer regelmäßig durchführen. Die konkreten Inhalte, Übungen, Reflexionen sowie kleinen Rollenspiele haben wir hingegen passgenau auf die spezifischen Bedarfe des Teams von hilligarchitekten abgestimmt.

„Zusammen mit dem Team der MEDIATOR GmbH und innerhalb einer sechsmonatigen Schulung wird der Umgang mit allerhand kommunikativen Notsituationen eingeübt. Und so perlt auf einmal das Gespräch mit dem Bauherrn und das Telefonat mit dem Fachplaner und wird der beunruhigende Small Talk mit dem Chef plötzlich zum gewinnbringenden Austausch.“ (aus dem Newsletter von hilligarchitekten)

Dabei lauern nicht nur in Gesprächen mit externen Partner*innen, sondern auch teamintern im alltäglichen kollegialen Austausch über den Schreibtisch hinweg vielfältige kleine und große kommunikative Herausforderungen. Sehr schön sichtbar wurde dies im unterschiedlichen Umgang mit Emotionen. Dieser kann je nach kulturellem Hintergrund und damit verbundener Sozialisierung, nach individueller Bedeutungsbeimessung und persönlichem Zugang eine mehr oder weniger große Rolle spielen – und spielen dürfen. Während es für manchen ganz selbstverständlich ist, sehr gefühlsbetont zu agieren und zu reagieren und mit Emotionen offen umzugehen, diese anzusprechen und ihnen Raum zu geben, kann das für andere außerordentlich befremdlich sein und wirken. Für manchen gehören Emotionen gar nicht in den Arbeitskontext, und auf gar keinen Fall würde sie oder er diese von sich aus ansprechen oder einbringen, weil es nicht zu ihrem oder seinem Verständnis des Zusammenarbeitens und Miteinander-Umgehens passt.


Aus unserer kommunikativen und mediativen Sicht messen wir Emotionen eine sehr hohe Bedeutung zu: für die Gestaltung konstruktiver Gespräche und bereits ganz grundlegend, wenn es um ein gegenseitiges Verstehen geht. Gefühle entstehen, wenn Bedürfnisse berührt werden, d.h. wenn diese gewahrt werden oder in Gefahr geraten. In Gesprächen präzise herauszuarbeiten, was jemandem wirklich wichtig ist (d.h. welche Interessen und Bedürfnisse diese Person zu einem bestimmten Thema besitzt), halten wir für einen Schlüsselfaktor und eine Kernkompetenz für eine professionelle Kommunikation. Emotionen fungieren dabei als Wegweiser zu Interessen und Bedürfnissen: sie sind die Kinder der Bedürfnisse.

Zu den unterschiedlichen Zugängen und Haltungen beim Umgang mit Emotionen tritt hinzu, dass es auch herausfordernd sein kann, ein gleiches Verständnis darüber herzustellen, wie sich jemand tatsächlich fühlt. Dies gilt in besonderem Maße bei sprachlichen Unterschieden und verschiedenen kulturellen Hintergründen (und ist oft auch bereits ohne diese herausfordernd). Eine Übung dazu in unseren Seminaren besteht darin, anhand non-verbaler Signale zu erkennen und zu benennen, wie eine jeweilige Person sich fühlt. Wir verwenden hierzu bestimmte Bilder auf Karten. Beim Sammeln von Hypothesen darüber, wie das Gefühl oder die Gefühle (häufig mehr als nur eines) sich auf den jeweiligen Karten benennen lassen, wird oftmals eine große Bandbreite genannt. Wenngleich wir mit diesen Karten schon häufig und in verschiedenen Kontexten gearbeitet haben und uns bewusst ist, dass köpersprachliche Signale in hohem Maße interpretationsanfällig sind, lagen die geäußerten Annahmen über die jeweilige Befindlichkeit auf den Abbildungen bei der Arbeit mit dem jungen hilligarchitekten-Team besonders weit auseinander. Einen möglichen Erklärungsansatz hierzu haben wir in dem Beitrag „Andere Sprachen, andere Gefühle“ in der Ausgabe 03/2020 der Zeitschrift „Gehirn und Geist“ gelesen: Demnach können die Begriffe für Emotionen zwischen den Sprachen in ihrer Bedeutung variieren, selbst dann, wenn sie in Wörterbüchern als Übersetzungen voneinander auftauchen. Genau das haben wir gemeinsam im Seminar erlebt. Für uns war es besonders spannend und schön zu sehen, mit welcher Freude sich das gesamte Team auf die gemeinsame Suche nach passenden Worten für die emotionalen Befindlichkeiten der auf den Bildkarten befindlichen Personen begeben haben. Dazu wurden auch verschiedene Übersetzungsprogramme und -Apps zu Rate gezogen – die jedoch auch nicht immer zu für alle befriedigenden eindeutigen Klärungen geführt haben. Letztlich haben die Teammitglieder für sich festgehalten und erkannt, dass es immer einer gemeinsamen Kommunikation zur Herstellung von Bedeutung und zur Sicherstellung eines gemeinsamen Verständnisses bedarf. Sie haben für sich erkannt und geübt, wie wichtig es ist, sich auch intern im Büro – bei aller hektischen Büro- und Projektarbeit – die Zeit zu nehmen, sorgfältig darauf zu achten, ob man die oder den anderen wirklich verstanden hat. Die gemeinsame Arbeit mit uns hat ihnen nämlich gezeigt, dass sie in der Vergangenheit wohl des Öfteren schon aneinander vorbeigedacht und -geredet haben.


Das gemeinsame Erleben und Erfahren spannender Momente wirksamer Kommunikation in unseren Kommunikationsmodulen sowie der darüber hinausgehende Austausch im Praxisalltag ermöglichen den teilnehmenden Teammitgliedern eine gegenseitige Unterstützung bei der Umsetzung der einzelnen Tools und Techniken in den verschiedenen Projekten und Tätigkeiten sowie deren permanente Weiterentwicklung. Wie nebenbei lernen sich alle noch besser kennen und verstehen, bauen das gegenseitige Vertrauen aus und verbessern ihr Miteinander-Arbeiten durch das gemeinsame intensive Lernen und Trainieren. Und das alles mit viel Spaß und Freude.