Modernes Führen

Empathisch Zuhören

In Zeiten von Remote-Work ist für Führungskräfte ein aufmerksames und empathisches Zuhören nochmals wichtiger geworden. Nach wie vor bestehende Strukturunsicherheiten aufgrund veränderter Arbeitsbedingungen und eine Abnahme der gefühlten Nähe zu allen Teammitgliedern lassen darauf schließen, wie wichtig es für ein vertrauensvolles und verlässliches Miteinander-arbeiten ist, genau wahrzunehmen, wie es jedem Einzelnen geht und was ihn in besonderem Maße beschäftigt. Dabei kann es sich sowohl um Sorgen und Bedenken handeln, als auch um innovative Ansätze, neue Ideen und kreative Gedanken.

Dabei kann Zuhören in sehr unterschiedlichen Formen stattfinden und unterschiedlichen Zwecken dienen.

Angenommen ein*e Mitarbeiter*in (MA) kommt auf ihre*seine Führungskraft zu mit den Worten: „Das Projekt wird leider nicht in dem geplanten Maße fertig: Ich schaffe es nicht rechtzeitig. Ja, ich weiß, das war so verabredet, aber das liegt daran, weil (…)“ (und bitte die Klammer in der wörtlichen Rede aufgrund eigener Erlebnisse und Erfahrungen ausfüllen).

Wie hört die Führungskraft nun zu?

Ein vielfach von uns in der Praxis beobachtetes Zuhören ist genau genommen gar keins, wenn die Führungskraft innerlich denkt: „Das war ja zu erwarten. Jetzt muss ich das alles machen und retten.“

Das Blatt Papier ist bereits gefüllt: Ich weiß schon alles! Egal, was MA jetzt sagen wird: Die Führungskraft wird es so hören, wahrnehmen und verstehen, dass es zum eigenen bereits vollgeschriebenen Papier passen wird.

Das Zuhören dient vorzugsweise der Bestätigung der eigenen Annahmen und Vermutungen.

In einer weiteren Art des Zuhörens versucht die Führungskraft, möglichst rasch das Problem zu durchschauen, um es lösen zu können: „Ich verstehe: wir müssen es klären! Was kann ich tun? Wie kann ich MA antreiben, motivieren oder unterstützen?“

Das Blatt Papier ist noch nicht ganz gefüllt, doch der Rahmen und die Richtung sind klar.

In diesem Fall dient das Zuhören als Sprungbrett auf die Lösungsebene.

Ein vielfach von uns in der Praxis beobachtetes Zuhören ist genau genommen gar keins, wenn die Führungskraft innerlich denkt: „Das war ja zu erwarten. Jetzt muss ich das alles machen und retten.“

Das Blatt Papier ist bereits gefüllt: Ich weiß schon alles! Egal, was MA jetzt sagen wird: Die Führungskraft wird es so hören, wahrnehmen und verstehen, dass es zum eigenen bereits vollgeschriebenen Papier passen wird.

Das Zuhören dient vorzugsweise der Bestätigung der eigenen Annahmen und Vermutungen.

Hört die Führungskraft jedoch aufmerksam und emphatisch zu, orientiert sich ihr Zuhören an folgenden inneren Fragen: „Was möchte MA mir bewusst oder unbewusst tatsächlich (alles) sagen? Was ist MA wichtig? Was steht für MA dahinter? Was nehme ich alles wahr?“

Das Blatt Papier ist (noch) leer oder es sieht vielleicht auch ganz anders aus:

Das Zuhören dient hier, um zu verstehen (ohne zu bewerten).

Nur mit einem aufmerksamen und empathischen Zuhören erfahre ich viel über meine*n Gesprächspartner*in, und auch wenn mir das Gesagte inhaltlich vielleicht gar nicht passt, ist es doch für unser weiteres Gespräch oder unsere zukünftige Zusammenarbeit aus mehreren Gründen wichtig für mich zu wissen, was sie oder ihn bewegt. Indem ich den anderen verstehen möchte, unterstütze ich ihn zudem, sich selbst zu verstehen und eröffne ihm damit einen Reflexionsraum, der ihm weitere Handlungsoptionen eröffnen kann. In weiterer Folge ermöglicht mein empathisches Zuhören, die oft noch versteckten und zumindest meist nicht sofort sichtbaren Anliegen, Interessen und Bedürfnisse herausarbeiten zu können. Damit werden die individuellen und spezifischen Kriterien sichtbar, die es braucht, um stabile und nachhaltige Lösungen entwickeln zu können.

In starkem Maße fördert ein empathisches Zuhören Vertrauen und Motivation, da ich als derjenige, dem empathisch zugehört wird, sowohl das Interesse meines Gegenübers an mir als auch seine Bereitschaft, sich mit meinen Anliegen zu beschäftigen und auseinanderzusetzen erkenne.

Ist es wiederum mein Anliegen, weitere und völlig andere Sichtweisen und Perspektiven in unser gemeinsames Gespräch einzubringen, verschaffe ich mir durch empathisches Zuhören zunächst die notwendige Klarheit darüber, was den anderen bewegt und was ich daher noch einbringen sollte oder wo ich mit meinen Anliegen andocken kann. Der vielleicht wichtigste Beitrag zu einem konstruktiven Diskurs auch über strittige Themen begründet sich in der Wertschätzung, die ich der anderen Person gegenüber ausdrücke, wenn ich sie verstehen möchte (durch empathisches Zuhören) und ihr das auch sichtbar mache (durch entsprechendes Loopen dessen, was ich glaube, bei ihr verstanden zu haben). Damit bereite ich mir zudem den Boden, dass mein Gegenüber nun viel leichter auch das annehmen kann, was ich in unseren Dialog einbringen möchte.

Getreu der Weisheit von Hans-Georg Gadamer ‚Ein Gespräch setzt voraus, dass der andere Recht haben könnte‘ lade ich mich durch empathisches Zuhören selbst zu einer reflektierten Betrachtung ein. Erschien mir das Gesagte im ersten Moment beispielsweise als unsinnig, falsch oder inakzeptabel, kann ich es durch aufmerksames Wahrnehmen zumindest nachvollziehen („So kann man es auch sehen“) oder erkenne vielleicht sogar wichtige und bedenkenswerte Aspekte darin.

Tappe ich jedoch weitgehend im Dunkeln darüber, was dem anderen wirklich wichtig ist, werfe ich meine kommunikativen Beiträge wie in einen Nebel hinein mit mehr oder weniger vagen Chancen, dass ich treffen werde. Viele Menschen neigen dazu, unmittelbar etwas Gehörtes gleich zu bewerten, bevor sie es richtig verstanden haben. Eine solche Bewertung findet bereits statt, wenn ich die Aussagen des anderen sofort mit meinen Anliegen vergleiche oder in Passung bringen möchte, oder wenn ich bereits auf Lösungen aus bin, ohne die Kriterien zu kennen. Damit entferne ich mich zusehends auch von meinem Gegenüber und beschäftige mich viel stärker mit mir selbst als mit ihr oder ihm. Aufmerksames Zuhören findet dann nur noch sehr eingeschränkt statt.

Unabhängig von bestehenden Hierarchien bedingt ein empathisches Zuhören eine Hinwendung auf Augenhöhe und ein wahrhaftiges Neugierig-sein auf das, was in dem anderen vorgeht.

Und das fordert meine gesamte Aufmerksamkeit und geht nicht mal so nebenbei: Die bewusste Verarbeitungskapazität eines menschlichen Gehirns beträgt etwa 120 Bit pro Sekunde, und um einer Person beim Sprechen zuzuhören, verbrauchen wir bereits die Hälfte davon. Nun ist zuhören auch nicht gleich zuhören, und wir sind überzeugt davon, dass bei einem aufmerksamen, empathischen und damit auf den Sprecher konzentrierten Zuhören von den 120 Bit pro Sekunde nicht mehr allzu viel für anderes übrig bleibt.

Empathisch zuhören ist eine wichtige Führungskompetenz und wer Lust hat, diese und weitere zentrale Aspekte modernen Führens kennenzulernen, ist herzlich eingeladen, an unserer diesjährigen Auflage unserer 2-moduligen und insgesamt 6-tägigen Führungsreihe: Persönlichkeit | Kompetenzen | Zusammenarbeit teilzunehmen:

Näheres findet Ihr in diesem Folder hier