Blick in unsere Praxis

Gestalten der Zusammenarbeit in Homeoffice-Zeiten

Eine der zentralen Erkenntnisse unserer Arbeit – die in den unterschiedlichsten Kontexten vielfältig sichtbar wird – ist die wichtige Unterscheidung zwischen dem WIE und dem WAS. Während sich in unseren Kulturkreisen beim Auftauchen eines Themas alle sofort auf die Inhalte des WAS stürzen, kommen die Fragen zum WIE: Wie arbeiten wir miteinander? Wie gehen wir miteinander um, wenn wir das inhaltliche Thema angehen wollen? oft zu kurz, was sich dann ganz schnell oder noch gefährlicher: ganz langsam in wachsenden Unzufriedenheiten, zunehmenden Missverständnissen und fortlaufenden Misstönen zeigt. Daher ist das Gestalten der Zusammenarbeit von Teams, Arbeitsgruppen, Büros und Abteilungen aus unserer Sicht eines der zentralen Herausforderungen, wenn es um moderne Arbeitsbeziehungen und erfolgreiches Miteinander in immer dynamischer werdenden Arbeitswelten geht. Und derzeit erfährt dieses Thema nochmals eine Bedeutungssteigerung: Homeoffice. Von einem Tag auf den anderen hat sich für viele Menschen die Arbeitsweise komplett verändert. Aus Teams, die sich physisch täglich an einem Ort zusammengefunden hatten, wurden virtuelle Teams, die in diese neue Situation hineingestolpert wurden ohne sich darauf vorbereiten zu können.  

Aus unseren langjährigen Erfahrungen bei der Begleitung von Veränderungsprozessen in Unternehmen, Organisationen und Verwaltungen wissen wir, dass der Begriff „Veränderung selten ein positiv besetzter ist. Auf den ersten Blick fragen sich viele Führungskräfte: Wieso? Klingt doch gut. Doch wenn sie sich die Situation vor Augen halten, dass sie auf ihre Mitarbeitenden zugehen werden mit den Worten: Morgen wird sich übrigens etwas verändern“, und dann Hypothesen darüber entwickeln, wie ihre Teammitglieder darauf reagieren werden: a) „Super, eine Veränderung, damit werden sicherlich viele Chancen und Möglichkeiten verbunden sein“, oder b) „Oje, was wird das für mich bedeuten? Was heißt das jetzt?“, vermuten viele Führungskräfte einen Hang zu b) bei ihren Leuten. Und Homeoffice bedeutet eine gravierende Veränderung: für die Führenden wie für alle Mitarbeitenden. 

Das Gestalten der Zusammenarbeit unter diesen veränderten Rahmen- und Arbeitsbedingungen ist ein wichtiger Kommunikationsprozess, der intensiv von allen Beteiligten gemeinsam angegangen werden sollte – ob alleine im Team oder durch professionelle Begleitung unterstützt. Für letzteres stehen wir immer gerne zur Verfügung: online per Videokonferenz und hoffentlich irgendwann auch wieder leibhaftig. 

Wie bedeutsam es für die zukünftige Zusammenarbeit sein kann, die neuen Interessen und Bedürfnisse der einzelnen Teammitglieder unter den veränderten Rahmenbedingungen zu erkunden, sollen unsere kleinen Zeichnungen verdeutlichen. Die tradierten und mitunter auch bewährten Formen des Miteinanders haben viele Muster und Vertrautheiten hervorgebracht, und es kann eine hohe Neigung bestehen, diese in neuen Formaten möglichst weitgehend wiederzufinden. Dieser Hang, auf alte Sicherheiten zugreifen zu wollen, wird durch das viele und überraschend aufgetauchte Neue meistens zusätzlich verstärkt. Wenn dann nicht alles so funktioniert, wie es sich die Beteiligten erhoffen und erwarten, kann das schnell zu Unzufriedenheiten, Spannungen und sogar Konflikten führen. Veränderte Rahmenbedingungen, neue Formate und ungewohnte Anforderungen lösen jedoch zumeist auch völlig andere Bedarfe aus. Diese Interessen und Bedürfnisse, die sich aus der neuen Situation ergeben, gilt es aufmerksam und individuell zu erkunden und neu zu formulieren. Und das bedeutet selbstverständlich nicht, alles Bewährte über Bord zu werfen, nur sollte das Bewährte nicht unreflektiert die neuen Anforderungen definieren. Vielmehr lässt die neue Interessenklärung sichtbar werden, auf welche Erkenntnisse und Erfahrungen unbedingt zurückgegriffen werden sollte und wo möglicherweise Neuland zu betreten sein wird: neue Lösungen für neue Bedarfe, die Vertrauen ermöglichen und Sicherheiten schaffen können. 

Die radikale Umstellung auf Homeoffice und vielfach völlig neue Formen des Miteinander-arbeitens ist für viele Mitarbeitende und Führungskräfte keine Selbstverständlichkeit. Hinzu kommt noch, dass – sofern man entsprechenden Statistiken und Untersuchungen trauen darf – nach wie vor viele Mitarbeitende nicht von Homeoffice begeistert sind – trotz der vielfältig publizierten Vorteile.  

Viele Mitarbeitende fühlen sich möglicherweise überfordert, wenn sie auf einmal viel mehr selbst organisieren müssen als zuvor. Was genau bedeutet das? An was muss ich jetzt denken? Was erwarten die anderen von mir? Was mache ich, wenn ich Hilfe benötige? 

Dieser gemeinsame Gestaltungsprozess, das gemeinsame Sich-erarbeiten fördert die Motivation insbesondere derjenigen, für die diese neue Form des Arbeitens völlig fremd ist, und die es auch nicht gewohnt sind, so digital zu arbeiten. Das deutliche Mehr an Fragen und Antwortoptionen muss entsprechend von allen Beteiligten im gemeinsamen Diskurs akzeptabel sein und zugelassen werden, ohne direkt in eine Bewertung der Aussagen überzugehen. 

Wie bei vielen anderen Veränderungsprozessen gilt es daher hier in besonderem Maße (da diese Veränderung noch viele weitere Fragezeichen hinsichtlich der Zukunft mit sich bringt), alle Beteiligten mit auf die Reise zu nehmen, um so neue Routinen, Maßnahmen und Vorgehensweisen im Umgang mit Homeoffice zu entwickeln, die für das jeweilige Team stimmig, machbar und annehmbar sind.  

Die Interdependenz von unternehmenskulturellen Mustern und Veränderung wirkt in beide Richtungen: Gewohnte, liebgewonnene und oft unbewusst tradierte Muster gelten als eine entscheidende Ursache für die Zurückhaltung bei Veränderungen, und nachhaltig wirksame Veränderungen sind immer getragen von einem kulturellen Wandel. 

Im Fokus eines Gestaltens der Zusammenarbeit steht die Entwicklung einer gemeinsamen neuen – und eventuell auch nur temporären – Form des Miteinanders, die allen Beteiligten und den jeweiligen Ansprüchen an die Arbeitsergebnisse gerecht wird. Entsprechend wird es sehr zielführend und für die dauerhaft gute Zusammenarbeit im Team unterstützend sein, zunächst die individuellen Bedarfe und Anliegen der Teammitglieder herauszuarbeiten und transparent nebeneinanderzustellen, bevor auf deren Basis gemeinsam über Lösungen und Vereinbarungen nachgedacht wird. Von denen sind viele denkbar: beispielsweise die Überführung des Daily Stand-Up in eine Videokonferenzvariante, neue Tools für Videomeetings, virtuelle Teeküchentreffs für den informellen Austausch, flexibel veränderbare Arbeitszeiten und etliches mehr. Ganz vorne in der Wichtigkeitsskala sollte stehen, dass die Interessen und Bedürfnisse aller aus dem Team damit abgedeckt werden. So entsteht das notwendige Vertrauen und die Sicherheit in andere Abläufe und Prozesse, und vielleicht sogar eine wirkliche Lust auf Neues. Umgekehrt führen Unsicherheiten hingegen oft zu Vermeidungshaltungen, und jede Kreativität versiegt. Doch gerade diese braucht es nunmehr in besonderem Maße. Auch deshalb ist der oben skizzierte Gestaltungsprozess so bedeutsam: um das kreative Potenzial jeder*s Einzelnen zur Entfaltung bringen zu können. Dieses gilt natürlich grundsätzlich, und umso mehr in Situationen, die neues Denken, zusätzliche Ideen und weitere Handlungsoptionen ausdrücklich erfordert. Und diese Aufgaben können auch nicht einfach an die Kreativabteilung abgegeben werden, denn das Team ist das wertvollste Gut. 


Ziele beim Gestalten der Zusammenarbeit: Homeoffice   

  • Zielklarheit überprüfen und ggf. neu entwickeln: „Haben wir alle das gleiche Verständnis, und rudern wir alle in die gleiche Richtung?“ 
  • Neue Rahmenbedingungen erkunden: „Was ist unbedingt zu beachten und zu berücksichtigen?“ 
  • Konkrete Schritte und Routinen der Zusammenarbeit skizzieren „Wie kann ein sinnvolles Vorgehen für uns alle aussehen?“ 
  • Gegenseitiges Vertrauen stärken und Motivation für ein konstruktives Miteinander fördern: „Was braucht es, damit wir alle engagiert dabei sind und uns mit unserem jeweiligen Know-how gut einbringen können?“ 
  • Gegenseitige Erwartungen sichtbar machen und klären: „Welche Vorstellungen, Sichtweisen und Erwartungen bestehen bei jeder*m Einzelnen von uns?“ 
  • Hohes Maß an Kommunikation und Austausch im Team aufrechterhalten und stärken: „Was ist dabei wem wie wichtig?“
  • Übernahme von Verantwortlichkeiten durch das gesamte Team für das Projekt erkennen: „Wie kann und wird sich jede*r verantwortlich einbringen?“ 

Generelles Ziel eines solchen Vorgehens ist die Formulierung eines Arbeitsbündnisses:
Wie möchten wir unter diesen neuen Rahmenbedingungen miteinander arbeiten?“ 

Mögliche zentrale Themen im Arbeitsbündnis „Homeoffice“ können dabei sein: 

Klärung von Rollen und Funktionen | Selbstorganisation | Informationswege und Kommunikationsabläufe | Gestaltung von Meetings (Ablauf, Zeiten, Inhalte, Teilnehmende, …) | Erreichbarkeiten und Verfügbarkeiten | Gestaltung von informellen Gesprächen (z.B. Pausen-Treffen) | Umgang mit Fragezeichen und Unterstützungsbedarfen | Ausstattung der Homeoffice-Arbeitsplätze | Entscheidungswege und Entscheidungskompetenzen | Umgang mit Meinungsverschiedenheiten, Kontroversen und Konflikten | Umgang mit plötzlich auftretenden Bedarfen und Veränderungen | Umgang mit spontanen Gedanken und Ideen | …  


Die sorgfältige Erarbeitung der neuen Formen des Miteinander-arbeitens lohnt sich, denn sie bietet einiges an Chancen: 

  • Die unternehmens- bzw. teaminterne Kultur des Zusammenarbeitens wird weiter geschärft und entwickelt 
  • Die Zusammenarbeit kann zukünftig noch flexibler und situationselastischer gestaltet werden 
  • Die Eigenverantwortlichkeit aller Teammitglieder wird weiter gefördert 
  • Es besteht die Möglichkeit, Suboptimalien in den bisherigen Kommunikations- und Prozessabläufen aufzudecken, die schon lange nicht mehr hinterfragt worden sind  
  • … und umgekehrt bisher versteckte und nicht erkannte Potenziale und Ressourcen sowohl bei einzelnen Teammitgliedern als auch in der Gestaltung der Zusammenarbeit zu entdecken.