Gestalten von Veränderungsprozessen

Neue Zeiten mit vielen Gestaltungsmöglichkeiten

Was für ein Tag, was für eine Woche, was für ein Jahr… mit lauter Impulsen und Inspirationen für ständige Veränderungen, Weiter-Entwicklungen und ein permanentes Neu-Denken: großartig. Unseren ersten Newsletter zu Beginn des Jahres 2020 hatten wir mit einer unserer Lieblingsfragen eingeleitet: Wann haben Sie zum letzten Mal etwas zum ersten Mal gemacht?, um damit immer wieder zu geistiger Beweglichkeit und zum Ausprobieren einzuladen… und seitdem können wir unsere eigene Frage beantworten mit: ständig. Bis zum ersten Quartal 2020 beschränkten sich unsere Online-Erfahrungen auf wenige Skype-Konferenzen, die wir weitgehend schrecklich fanden, da alle Beteiligten mehr mit der Technik und dem Versuch, sich gegenseitig hören und sehen zu können beschäftigt waren, denn mit den tatsächlichen Inhalten des jeweiligen Meetings. Und nur wenige Monate später: Mehrtägige, interaktive Seminare (jetzt: Webinare) mit wechselnden Arbeitsgruppen: kein Problem. Mittlerweile tun wir uns schwer mit Telefonkonferenzen: wie ging das nochmal? Wollen wir uns nicht lieber über Zoom treffen: irgendwie einfacher. Prompt – und völlig zurecht – hat eine gute Freundin und Kollegin von uns nachgehakt: Jetzt alles Online, also on line? Alles auf Linie, zwar auf einer neuen, und doch wieder gleichförmig? Sehr berechtigte Frage, und mit großer Freude konnten wir sie im Laufe des vergangenen Jahres mit Nein beantworten. Es war ein Jahr der Vielfalt und auch des Erkennens, was wo wie funktioniert, was völlig neu gedacht und gestaltet werden muss, was Bereicherungen sind und wo sich was auf unterstützende Weise ergänzen darf. Und wir stecken noch in diesem sicherlich noch länger andauernden Reflexionsprozess. Die erste Mediation, welche wir im Mai 2020 online durchgeführt haben, war gleich eine, die uns noch länger beschäftigt hat. Wir waren davon überzeugt, dass sie besser funktioniert hat als wir zunächst erwartet hatten, und gleichzeitig waren wir davon überzeugt, dass in Präsenz noch mehr möglich gewesen wäre: Wir hätten noch ein bisschen näher an Beteiligten sein können, und hätten sie möglicherweise dazu bewegen können, eine weitere kleine Etage tiefer zu gehen. Allerdings: In der Welt vor Mitte März hätte diese Mediation niemals stattgefunden. Die vielfältigen Gründe: zusätzliche Reisekosten für den Mediator, höhere Aufwendungen, einen geeigneten Ort zu finden, die Transaktionskosten von der Arbeit dorthin und zurück an den Schreibtisch zu kommen, und nicht zuletzt die deutlich spürbare Zurückhaltung der Beteiligten, sich direkt in einem Raum miteinander austauschen zu müssen (und der zusätzlich notwendigen Vorbereitungsgespräche, um eine solche Bereitschaft herzustellen) und noch einiges mehr… hätten in der Summe sehr wahrscheinlich dazu geführt, dass immer etwas davon das Zustandekommen einer Mediation verhindert hätte. Online hingegen war eine – wenn auch zögerliche – Bereitschaft vorhanden, die letztlich von uns soweit interessenorientiert ausgebaut werden konnte, dass die Beteiligten ein für sie unerwartetes gemeinsames Ergebnis erzielen konnten.

Immer wieder neu denken und den Blickwinkel verändern, und nicht einfach das Alte retten zu wollen: das waren und sind wichtige Leitgedanken in sich permanent verändernden Zeiten. Das hat viel mit uns selbst zu tun und unserem Mindset: Die Flexibilität unseres eigenen Selbstbildes trägt viel dazu bei, wie gut wir mit unerwarteten und neuen Herausforderungen umgehen können. Wer grundsätzlich die Haltung mitbringt, sich selbst verändern und ständig dazulernen zu können, sieht herausfordernden Situationen sowohl gelassener entgegen und besitzt auch Potenziale, um sie tatsächlich zu bewältigen (vgl. Dweck, Carol (2017): Selbstbild. Wie unser Denken Erfolge und Niederlagen bewirkt. München). Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Eine positive Grundhaltung ist keineswegs ein Allheilmittel zur Überwindung herausfordernder Situationen, doch macht sie vor allem deutlich, dass wir es selbst in der Hand haben, wie unsere Einstellung zu einer Sache und einem Ereignis ist, welches wir grundsätzlich nicht verändern können.

Die Komplexität und Dynamik der heutigen Zeit mit stetig wachsenden Vernetzungen und Verknüpfungen ist nicht nur eine Beschreibung der modernen Welt, sie setzt gleichzeitig Maßstäbe für unser Agieren und Handeln in dieser. Der Prozess des Gestaltens wird daher immer wichtiger und bedeutsamer. „Es muss etwas ins Blickfeld kommen, bevor es da ist“, hat Joseph Beuys gesagt (der dieses Jahr seinen 100sten Geburtstag feiern würde), und auch flexible Prozesse, um den vielfältigen Herausforderungen der Moderne adäquat begegnen zu können, fallen nicht vom Himmel oder können von oben verordnet werden, sondern sie müssen gemeinsam gestaltet werden. Zudem werden Ansagen von oben immer wirkungsloser, wenn die Umsetzung nicht von allen mit getragen wird.

Der Gestaltungsaufgabe kommt deshalb auch eine so große Bedeutung zu, weil sie jede*n Einzelne*n betrifft, und weil jede*r Einzelne ein wirksamer Teil jener Zusammenhänge ist, die es zu gestalten gilt. Es braucht auch wirklich jedes Mitglied eines Teams, um mit Überraschungen und unerwarteten Ereignissen gut umgehen zu können. Die Überlebensfähigkeit eines Systems hängt wachsend davon ab, wie schnell Neues durch systemische Veränderungen integriert werden kann. Die dafür notwendige Gestaltungskompetenz kann nicht mehr in einer einzelnen Person gebündelt sein: hier ist das gesamte Team gefragt. Und es macht Spaß zu entwickeln, was alles in einem Team steckt: das ist oft viel mehr, als alle zunächst vermuten. Zum Beispiel: unbekannte Kräfte zu entdecken und bisher schlummernde Potenziale ans Licht zu bringen.

Bezeichnend für die heutige Arbeitswelt ist ein Handeln unter Unsicherheit. Die Unsicherheit über das WAS ist bedingt durch komplexe Veränderungen, die den Wandel als beständige Größe etabliert haben. Gleichzeitig ist es die innere Sicherheit, die Teams besonders erfolgreich macht, und diese Sicherheit entsteht nicht zuletzt durch einen gemeinsamen Gestaltungsprozess auf der WIE-Ebene des Zusammenarbeitens: Wir wissen nicht, was als nächstes passieren wird, doch wir wissen, wie wir mit solchen Situationen umgehen werden.

So bietet sich eine große Chance, den Veränderungsprozess willentlich und absichtsvoll zu gestalten. Damit wird die Verantwortung jeder*s Einzelnen sichtbar: Wie gestalten wir unsere Zusammenarbeit, dass diese unseren individuellen und gemeinschaftlichen Interessen und Bedürfnissen so gerecht wird, dass wir in ihr wirken möchten?